Die Preisträgerinnen des Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreises 2024 sind Lucia Zamolo für „Und dann noch…“ (Bohem), sowie Chloé Guidoux & Claire Martha für „Quand l’art passe à table“ (Thierry Magnier).
Am 11. Oktober 2024 wurde zum zwölften Mal der Deutsch-Französische Jugendliteraturpreis verliehen. Der Chef der saarländischen Staatskanzlei David Lindemann und die Honorarkonsulin Myriam Bouchon haben die Preise – in diesem Jahr in der Kategorie Sachbuch – in Saarbrücken überreicht.
Die Staatskanzlei hat die Veranstaltung live gestreamt. Hier können Sie die Aufzeichnung sehen.
Außerdem wurde auch der erste Preis der Jugendjury verliehen. Der Preis der Jugendjury wurde gemeinsam durch 50 Kinder aus Deutschland und Frankreich ermittelt. Der Preis geht an Anna Schindler & Katrin Dageför für „Stimmt das?“ (Pastorplatz) sowie an Philippe Nessmann & Jean Mallard für „Pas bêtes, les plantes !“ (Sarbacane).
Lucia Zamolo
Und dann noch…
Bohem Press | ab 14 Jahre
„Hab ich eigentlich das Licht ausgemacht?“
Stress ist für das Jugendsachbuch ein eher ungewöhnliches Thema, das jedoch für Jugendliche und junge Erwachsene an Bedeutung merklich zunimmt. Zamolo schildert den Druck von außen, die Erwartungshaltungen nach dem Schul- und jedem folgenden Abschluss („Und was machst du dann?“) in einer Leistungsgesellschaft, den Druck, den man sich selbst macht, um etwas vorweisen zu können, Stressoren wie Lautstärke, Arbeitspensum, Zeitdruck, Konflikte. Die Typografie und durchgestrichene Wörter offenbaren Denkprozesse, ebenso die Handschrift, Sätze ziehen sich wie trudelnde Schleifen surrender Fliegen über die Seiten: Das Buch ist eine Mischung aus Tagebuch und Website-Optik, Hervorhebungen leiten das Auge der Betrachter:innen durch die Seiten.
Letztlich entsteht ein neuer Buchtypus, der Genregrenzen sprengt: Es ist ein Sachbuch, es ist ein Ratgeber, es ist eine subjektiv erzählte Geschichte, die das komplexe Thema fassbar zu machen versucht. Zamolo ist nicht die allwissende Erzählerin, die ihr gesammeltes Wissen preisgibt, sondern sie nimmt die Leser:innen Schritt für Schritt mit, stellt Fragen und sucht Antworten. Dabei bemüht sie Stressforscher wie Richard Lazarus und Lennart Levi mit ihren Modellen zur Stressentstehung, Sprichwörter („Und was mich nicht umbringt, macht mich härter“), erklärt, warum manche sich mehr gestresst fühlen als andere. Die unverkennbare Stärke des Buchs aber liegt darin, dass Lucia Zamolo Zusammenhänge niedrigschwellig und teils in infografikartigen Bildern visualisiert, so dass sich Leser:innen mit der erzählenden Ich-Figur leicht identifizieren können. Mit jeder Seite wird das Thema des Buchs zum Thema der Leser:innen.
Die Laudatio | Stefan Hauck
Was, glauben Sie, war das meistverkaufte Buch im vergangenen Jahr in Frankreich? Es war nicht Jean-Baptiste Andreas mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Roman „Veiller sur elle“ [„Pass auf sie auf“], der hat sich 400.000-mal verkauft, es war auch nicht Colleen Hoovers Romance „Jamais plus“[„Nur noch ein einziges Mal“ff – nein, das meistverkaufte Buch in Frankreich war ein bande dessinée: „Asterix – die weiße Iris“. Davon wurden – was schätzen Sie? – - - …anderthalb Millionen Exemplare verkauft – exakt so viele wie in Deutschland, aufgeteilt in eine Million Softcover und eine halbe Million Hardcover. Deutsche und französische Leser scheinen also schon mal eine gemeinsame Vorliebe beim Lesestoff zu haben.
„Asterix“ kennt nun jeder, aber die noch druckfrischen, herausragenden Lesestoffe den Kindern und Jugendlichen im jeweiligen Nachbarland bekannt zu machen, das ist die Aufgabe des Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreises. In diesem Jahr steht die Kategorie Sachbuch im Mittelpunkt, und da finden sich unterschiedlichste Themen auf der Shortlist: Wahrheiten von falschen Informationen unterscheiden lernen, Sterben und Trauern, die Toilette als zivilisatorischer Erfolg, das Erhalten von Kulturgut durch restauratorische Maßnahmen, die Auseinandersetzung mit Stress und die Zusammenhänge im ökologischen Gleichgewicht– es ist eine große inhaltliche Bandbreite.
Und es war alles andere als eine leichte Aufgabe für die Jury – den Preis verdient hätte jedes Buch. Nach einer mehrstündigen Diskussion hat die Jury eine Entscheidung getroffen: Den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis 2024 erhält „Und dann noch …“ von Lucia Zamolo.
Schon das Cover zeigt deutlich: Neun Arme reichen nicht aus, um die Anforderungen im Alltag zu bewältigen. Stress ist für das Jugendsachbuch ein noch ungewöhnliches Thema, aber die Auseinandersetzung mit Stress ist inzwischen längst im Lebensumfeld von Kindern, von Jugendlichen und jungen Erwachsenen angekommen. In Bild und Text schildert die 1991 in Münster geborene Zamolo den Druck von außen, die Erwartungshaltungen nach dem Schul- und jedem folgenden Abschluss: "Aha, schön – und was machst du dann?" „Ja und dann?“ „Und dann …?“Immer zielorientiert bleiben, keine Pausen, keine Lücken im Lebenslauf, beschreibt sie die Erwartungshaltung in einer Leistungsgesellschaft mit Stressoren wie Lautstärke, Arbeitspensum, Zeitdruck, Konflikte.
Die Typografie und durchgestrichene Wörter offenbaren Denkprozesse, ebenso die Handschrift; Sätze ziehen sich wie trudelnde Schleifen surrender Fliegen über die Seiten: Das Buch ist eine Mischung aus Tagebuch und Website-Optik, Hervorhebungen leiten das Auge des Betrachters durch die Seiten. Letztlich entsteht hier ein neuer Buchtypus, der Genregrenzen sprengt: Es ist ein Sachbuch, es ein Ratgeber, es ist eine subjektiv erzählte Geschichte mit autobiografischen Anteilen. Zamolo, die in Münster Design mit den Schwerpunkten Illustration und Kommunikation sowie Englische Philologie und Bildungswissenschaften studiert hat, zeigt sich im Buch nicht als allwissende Erzählerin, sondern sie nimmt die Leser:innen Schritt für Schritt mit, stellt Fragen und sucht Antworten. Dabei bemüht sie Stressforscher und ihre Modelle zur Stressentstehung, Sprichwörter – "Und was mich nicht umbringt, macht mich härter" – , sie erklärt, warum manche sich mehr gestresst fühlen als andere, den Unterschied zwischen negativem und positivem Stress, bei dem Hormone ausgeschüttet werden, alle Sinne wach sind, man ist aufgeregt und vielleicht ist Lucia Zamolo jetzt auch bisschen aufgeregt und hoffentlich positiv gestresst.
Die unverkennbare Stärke des Buchs liegt darin, dass Lucia Zamolo Zusammenhänge niedrigschwellig und teils in infografikartigen Bildern visualisiert, so dass sich Leser:innen mit der erzählenden Ich-Figur leicht identifizieren können. Mit jeder Seite wird das Thema des Buchs zum Thema der Leser:innen. Man lernt, dass man sich manchmal Zeit nehmen muss, um Entscheidungen zu treffen, und ich gebe zu, dass ich auch einiges aus diesem Buch gelernt habe. Dieses Buch gehört in jede Schulbibliothek – denn viele Schüler:innen wissen nicht, wie sie mit der Fülle der Erwartungen, die an sie gerichtet sind, umgehen sollen.
Was mir auffällt: Zamolos Debüt „Rot ist doch schön“ wurde 2019 mit dem Preis für Nachwuchsillustrator:innen Serafina ausgezeichnet. Ihr zweites Buch „Elefant auf der Brust“ wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der 25 schönsten Bücher 2021 prämiert. Ihr Kalender wurde 2022 mit dem Kalenderpreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Ihr drittes Buch „Jeden Tag Spaghetti“ wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Und das vierte „Und dann noch …“ kriegt nun den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis. Also kein Buch ohne Auszeichnung, fast schon ein bisschen unheimlich …
Aber für Lucia Zamolo gilt wohl der Satz ihres Vaters, den wir auf Seite 59 kennenlernen: „Chi va piano, va lontano“ – „Wer langsam geht, der geht weit“. Offenbar ein sehr erfolgreiches Motto. Wir wünschen Dir, dass es in dieser unterhaltsamen Qualität weitergeht.
Die Jury 2024
Nicola BARDOLA | München
Britta BENERT | Strasbourg
Gilles BUSCOT | Strasbourg
Géraldine ELSCHNER | Heidelberg
Germaine GOETZINGER | Luxemburg
Alfred GULDEN | Saarlouis, München
Dr. Stefan HAUCK | Frankfurt
Charlotte LARAT | Strasbourg
Mathilde LÉVÊQUE | Paris
Alexandra RAK | Frankfurt
Mehr Informationen zur Jury
Chloé Guidoux & Claire Martha
Quand l’art passe à table
Thierry Magnier | ab 6 Jahre
Beim ersten Öffnen von „Quand l’art passe à table“ ist man zunächst vielleicht etwas verwirrt: Ist das ein Kochbuch? Oder nicht doch eher ein Kunstbuch? Tatsächlich ist es beides zugleich, denn die Stärke dieses großformatigen Bilderbuchs liegt genau in seiner Vielschichtigkeit. Auf den ersten Blick mag es wie ein klassisches Rezeptbuch erscheinen, das in die Kategorien Vorspeise, Hauptgericht, Dessert und Getränke gegliedert ist. In Wirklichkeit lebt das Werk jedoch von den faszinierenden Verbindungen zwischen Meisterwerken der Malerei und Kochrezepten, die auf Weiterdenken, Metaphorik und Assoziation beruhen. Formen, Farben und die zugrundeliegenden Geschichten finden eine Entsprechung in Geschmäckern und Düften, in einer ganz originellen synästhetischen Art und Weise.
Ergänzt wird das Ganze durch vielfältiges dokumentarisches Material: Erläuterungen und Definitionen zu ästhetischen Epochen und künstlerischen Techniken, Anekdoten zu kulinarischen Traditionen und zur Erfindung neuer Speisen… Kunst zum Knabbern, Rezepte zum Staunen: „Quand l’art passe à table“ ist ein Prachtband, der in jede Hand gehört, ob groß oder klein, ob Hobbyköch:innen oder junge Künstler:innen.
Panégyrique | Isabelle Enderlein
Cette année, les dix membres du jury du prix franco-allemand pour la litérature jeunesse ont dû se pencher sur le genre des livres documentaires.
Si je suis parfaitement honnête avec vous, ce n’est pas à priori ma catégorie préférée. C’est sérieux, un documentaire. C’est parfois un gros pavé illisible et indigeste. Et puis ça va me parler de tout sauf de moi, ça ne va pas me faire rire, ça ne va pas m’émouvoir.
Le moins que l’on puisse dire, c’est que chacun des douze documentaires sélectionnés cette année s’emploie à démontrer à quel point j’ai tout faux. Depuis les toilettes que vous et moi, dignes représentants de Sapiens et en l’espèce lointains cousins de Clara Schuman, Jean Moulin et autres chasseurs de glace sibériens, utilisons de manière quotidienne, jusqu’à la restauration des œuvres d’art en passant par les différentes manifestations du stress et les rituels humains accompagnant la mort : l’ensemble des documentaires sélectionnés nous parlent résolument de nous et de notre place dans le monde, et ils le font en nous émouvant, en nous faisant rire, en stimulant dans le même temps notre esprit, notre imaginaire et notre sens esthétique.
L’un d’eux, parmi les ouvrages français, le fait d’une manière particulièrement audacieuse et raffinée. Si Baudelaire avait dû présenter cet ouvrage, on peut s’amuser à imaginer qu’il l’aurait fait ainsi :
La nourriture est un art où de bons piliers
Laissent parfois sortir de gourmandes couleurs ;
L'homme y goûte des forêts de saveurs
Qui s’illustrent en de beaux tableaux familiers.
Vous l’aurez peut-être deviné, le prix franco-allemand de la littérature jeunesse 2024 revient, parmi les titres français, à :
Quand l’art passe à table, de Chloé Guidoux et Claire Martha, paru aux éditions Thierry Magnier.
Festin pour les yeux et nourriture spirituelle : « Quand l’art passe à table » célèbre les liens étroits qui lient art pictural et gastronomie. S’agit-il d’un livre de recettes de cuisine illustrées par des œuvres de maître ? Ou d’un beau-livre offrant un panorama sur la manière dont la nourriture a été représentée, magnifiée et sublimée dans l’art à travers les siècles ? Les deux à la fois, et ni l’un ni l’autre tout à fait, au sens où le tout constitue davantage que la somme des deux. Car ce livre à multiples entrées tisse une toile où art et gastronomie s’entrelacent, transcendant leurs frontières respectives pour créer une expérience sensorielle inédite.
Des banquets opulents de la Renaissance flamande à ceux, surréalistes, de Salvador Dalí, des fresques anonymes de l’antiquité romaine aux natures mortes réalistes de Courbet, ce livre retrace nonchalamment des siècles de culture culinaire. Dans leur matérialité et leur symbolisme, la nourriture et les repas, symboles tour à tour de raffinement, de pouvoir, de plaisir ou de transgression, y constituent un terrain de jeu privilégié pour des artistes de toutes époques et de tous horizons qui explorent les thèmes universels de l'abondance et du partage, de la faim et de la sensualité. Singularité des techniques picturales et originalité des mets se font écho, notamment dans les planches dites « à la façon de » : le noir de Pierre Soulages introduit le risotto à l’encre de seiche, l’ « action painting » ritualisé par Pollock inspire l’éclaboussure des crêpes avec des garnitures variées. Les formes, les couleurs et les consistances s’inspirent les unes les autres, créativité picturale et créativité culinaire se prolongent, se répondent et se nourrissent dans la joie et l’audace – dès lors, la pizza concentrique évoque Kandinsky, le sablé coloré les quadrillages de Mondrian. Parfois, c’est une métaphore qui associe mets et tableaux, comme dans la recette du faux saucisson, une éclatante « trahison des images » au sens où l’entend Magritte.
Parallèlement, l’ouvrage dissémine des encadrés comme autant d’ingrédients, lesquels renseignent tantôt sur les peintres, femmes et hommes, sur leur époque et leur technique, ou sur la manière dont ils ont su renouveler leur art, tantôt sur des anecdotes drôles ou étonnantes concernant l’origine d’une recette ou son histoire sociale.
Le tout est servi par les magnifiques reproductions de Claire Martha, qui font se côtoyer la délicatesse de l’estampe japonaise et la mystérieuse familiarité d’un Vermeer. Les créations illustrant les recettes foisonnent de détails et distillent un joyeux méli-mélo coloré au fil des pages. Nul doute qu’artistes en herbe et apprentis cuistot auront plaisir à les découvrir.
« Quand l’art passe à table » est ainsi bien davantage qu’un simple livre d’art ou de recettes de cuisine. C’est une invitation au voyage synesthétique, un hymne à la créativité humaine dans toutes ses formes, une ode à l’épanouissement par les sens qui nous invite à reconnaître en chaque plat une œuvre d’art et en chaque repas, une célébration du beau.
Die Jury 2024
Nicola BARDOLA | München
Britta BENERT | Strasbourg
Gilles BUSCOT | Strasbourg
Géraldine ELSCHNER | Heidelberg
Germaine GOETZINGER | Luxemburg
Alfred GULDEN | Saarlouis, München
Dr. Stefan HAUCK | Frankfurt
Charlotte LARAT | Strasbourg
Mathilde LÉVÊQUE | Paris
Alexandra RAK | Frankfurt
Mehr Informationen zur Jury