Interview mit Tamara Bach

Schön wie die Acht

über ihr Buch Sankt Irgendwas

 

Wir stellen Ihnen Tamara Bach vor, eine der nominierten Autorinnen der Shortlist 2021, die wir über ihr Buch „Sankt Irgendwas“ befragt haben. Das Interview wurde von Luise Kwak auf Deutsch geführt. Die Transkription finden Sie weiter unten.

 

Interviewerin Julia ClaaßenLuise Kwak ist 21 Jahre alt, versucht, die Welt aber weiterhin durch Kinderaugen zu sehen, sie durch Fragenstellen und durch bereichernde Begegnungen besser zu verstehen. Ihr deutsch-französisches Studium der grenzüberschreitenden Kommunikation und Kooperation hat sie vom größten Bundesland in eins der kleinsten geführt. Dass Großes aber oft im Kleinen entsteht, durfte sie selbst miterleben, als sie mit fünf Kommilitoninnen das deutsch-französische Kinderbuch „Wie das Chamäleon sein Talent gefunden hat“ geschrieben und veröffentlicht hat.

 

 

Die Transkription des Interviews

 

Luise (L): Hallo und herzlich willkommen, Tamara Bach. Ich freue mich sehr, dass ich Sie heute interviewen darf und zwar über Ihr aktuellstes Buch „Sankt Irgendwas“. Und damit alle unser Gespräch nachvollziehen können, die uns zuhören, würde ich den Inhalt kurz zusammenfassen zu Beginn. Aber ich würde Sie bitten, zunächst drei Worte zu nennen, die die Stimmung Ihres Buches Ihrer Meinung nach am besten beschreiben.

Tamara Bach (TB): Drei Worte, hmm... Generationen, Zusammenhalt, Explosion.

L: Ein Wort habe ich sogar auch notiert, das ist „Zusammenhalt“. Und ich hatte noch „Verwirrung“ und „Geheimnis“ aufgeschrieben. Also in „Sankt Irgendwas“ steht die Klassenfahrt der 10b im Mittelpunkt. Und es ist etwas Schreckliches passiert. Man weiß aber nicht genau, was. Das ist quasi das große Geheimnis, um das sich alles dreht. Man weiß nur, dass dieses Ereignis der Klasse Probleme bereitet. Vielleicht solche großen Probleme, dass es um die Suspendierung der ganzen Klasse geht. Dass es einen Klassen-Eltern, also Schüler-Eltern-Konferenz gibt, mit den verantwortlichen Lehrern, mit dem Direktor. Und man fragt sich die ganze Zeit „Was ist denn eigentlich passiert?“ Und das Besondere des Buches, das ist eigentlich so, wie man direkt einsteigt, ist, dass man sich mitten im Gespräch wiederfindet. In so einem Schulhofgetuschel, könnte man sagen. Man weiß nicht genau, wer sich da unterhält oder wie viele Schüler sich da unterhalten. Aber man weiß, es ist was passiert und nicht viele wissen, worum es eben geht. Und dann wird man im weiteren Verlauf des Buches durch die Protokolle der Klassenfahrt, die die Schüler:innen schreiben müssen, mit auf diese Klassenfahrt genommen und erfährt quasi Stück für Stück, was zwischen diesem viel zu strengen und bösen Lehrer Dr. Utz und der Klasse eigentlich passiert ist und worum es letztlich eigentlich geht. Und wie ich bereits erwähnt habe, ist das ganz Besondere an Ihrem Buch vor allem der Schreibstil. Und da habe ich mich gefragt: Was war denn zuerst da, die Geschichte oder die Idee dieses Stils?

TB: Zuerst war da tatsächlich ein Facebook-Thread. Ich glaube, es war die WM 2018, wo Deutschland so früh rausgeflogen ist und ein Freund von mir schrieb über dieses schlimme Spiel, das ich nicht gesehen habe, das lustigste daran wäre der Live-Ticker in der Süddeutschen gewesen. Und in diesem Live-Ticker stand dann irgendwo „da stehen sie wie eine Klasse, die von einer Klassenfahrt zurückkommt, auf der was ganz Schlimmes passiert ist.“ Und irgendwer schrieb in diesem Thread dann „jetzt wüsste ich aber gerne, was auf dieser Klassenfahrt passiert ist.“ Dann habe ich gesagt „Dann schreibe ich jetzt das Buch dazu.“ Das war ganz der Anfang. Ich dachte, dass ich das Buch tatsächlich wie der Anfang der Geschichte geschrieben wird, in dieser Dialogform weitererzähle. Das konnte allerdings nicht durchhalten. Also das war super für den Anfang. Dieses: Worum geht's? Was? Eine Stimmung aufzubauen. Auch wenn es darum geht zu zeigen, dass das nicht ein Einzelfall ist, sondern dass es immer wieder Probleme zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen gibt. Dass es Generationen gibt, dass es Schulen gibt, die strenger sind, die weniger streng sind und ein bisschen Vorgeschichte. Aber vor allem geht es viel um Hörensagen. Und deswegen bin ich irgendwann von diesem Dialog auf andere Methoden gegangen. Dass es E-Mails gibt, als ob Zeugnisse zusammengetragen werden, Beweismittel über das, was passiert ist tatsächlich. Es lag auch ein bisschen daran, dass ich tatsächlich meiner alten Protokolle aus der Schulzeit von meiner Klassenfahrt noch gefunden habe. Aus der zehnten, aus der zwölften.

L: Das heißt, Sie waren auf den Klassenfahrten auch dazu angehalten, Protokolle zu verfassen und Referate zu halten?

TB: Naja, Referate auf jeden Fall... weiß ich, dass auf beiden Klassenfahrten Referate gehalten wurden. In der zwölften hieß es auch Studienfahrt, das wurde auch immer wieder betont. Wir reden jetzt natürlich auch von den Neunzigern, wir hatten natürlich auch keine Handys... Aber das in der zehnten Klasse hat eher unser Lehrer gemacht. Aber ich kenne das auch, dass man ein Fahrttagebuch schreibt. Ich war überrascht, wie viel wir in der Zwölften geschrieben haben. Wir haben so Ewigkeiten im Bus gesessen. Teilweise wurde dieses Protokoll auch weitergereicht durch die Reihen. Die Insiderwitze, die dann immer wieder festgehalten werden müssen. Irgendwelche Lieder wurden auf unsere Klassenreise umgedichtet. Solche Sachen.

L: Aber haben Sie denn im größten Sinne eher positive Erinnerungen an Ihre Klassenreise? Oder gab es da auch so Vorfälle, wo man sagen könnte, das hat Sie ein bisschen inspiriert zu diesem Lehrer-Schüler-Verhältnis aus dem Buch?

TB: Nein, dazu hat mich tatsächlich eher inspiriert, dass ich, als ich angefangen habe zu schreiben... unterschiedliche Sachen. Zum Beispiel, ich habe auch mal auf Lehramt studiert. Und jedes Mal, wenn ich auf Partys gesagt habe, ich studiere Englisch und Deutsch auf Lehramt, hieß es „eeh, biste dir sicher?“ und jeder hat irgendeine Geschichte über irgendeinen Lehrer. Es waren meistens Lehrer; es waren oft Mathelehrer, die sehr, sehr schlimme Erinnerungen hinterlassen hatten. Dann war ich, als ich angefangen hatte, die Geschichte zu schreiben, bei einer Freundin, die auch Lehrerin ist. Und da haben wir uns unterhalten über Lehrer, die wir so gehabt haben. Lehrer, die sie so kannte. Alles, wo man so sagen musste: Warum sind die Lehrer geworden? Warum dürfen die Lehrer sein? Und diese ganzen Geschichten kamen da irgendwie mit rein. Plus der Generationskonflikt, der gerade wieder so da ist einfach. Dass Menschen auch in meiner Generation – gerne Männer – nicht verstehen, warum die Jugend sie konstant kritisiert. Zum Beispiel, was die Umwelt angeht oder solche Sachen. Und das war es so ungefähr... Ich hatte immer tolle Lehrer - als Klassenlehrer auf jeden Fall.

L: Das ist gut. Ich habe mich dann auch gefragt, ob dieses schwierige Verhältnis zwischen dem Lehrer und den Schülern nicht aber auch diesen Zusammenhalt der Klasse, den ich wirklich beeindruckend fand, eigentlich befeuert hat.

TB: Das kann immer in die eine Richtung oder in die andere Richtung gehen natürlich. Entweder wir halten zusammen oder dieses unsägliche pädagogische Mittel dann zu sagen für irgendwelche Fehltritte von einem Einzelnen muss die ganze Klasse haften. Das man quasi die Gruppe zwingt, einen Einzelnen auszuliefern. Das fand ich immer unsäglich. Und das kann eben in die eine Richtung gehen, dass alle sagen ne, ne, nicht für den oder für die. Oder eben in die andere Richtung...

L: Und Sie haben vorhin schon kurz erzählt, dass es Ihnen um die Generationsfrage geht, um das Hören-Sagen allgemein. Auch dieses Schulhoff-Prinzip. Ist das die Hauptbotschaft, die Sie Ihren Leser:innen vermitteln möchten mit dem Buch?

TB: (lacht) Alle fragen immer nach einer Botschaft. Ich habe keine Botschaft. Ich erzähl eine Geschichte. Soll jeder daraus ziehen was er oder sie denkt.

L: Und man liest das Buch ja wirklich in einem Rutsch eigentlich. Es ist spannend, es ist auch nicht zu lang. Aber Sie haben wahrscheinlich viel, viel länger daran geschrieben. Wie lang arbeiten Sie an einem Buch?

TB: Ich weiß noch, dass ich hier und da immer ein bisschen dran geschrieben habe und ich musste den Rest schreiben. Ich weiß noch, dass ich zu jemandem gesagt habe: „So, jetzt im Februar schreibe ich mein Buch weiter und ich habe 70 Seiten.“ Und er meinte: „Oh, wie lang ist denn so ein Buch?“ Und ich kann relativ schnell schreiben und kann, wenn ich mich dran setze, sehr, sehr viel schreiben. Also habe ich es, es war nicht die Hälfte des Buches, aber ein Drittel des Buches in einem Monat geschrieben. Also drei Monate sind immer ganz gut. So manche Sachen, wie zum Beispiel die erste Passage mit dem Dialog. Sowas schreibt sich für mich unglaublich schnell. Ich höre das in meinem Kopf. Das sind Dialoge. Leute, die das zusammen erzählen, und ich schreibe nun einfach mit. Dialoge machen echt Spaß zu schreiben.

L: Und in dem Buch sind ja in den Protokollen stets die Aufenthaltsorte geschwärzt. Da habe ich mich gefragt, warum ist es geschwärzt? Natürlich würde sonst der Titel „Sankt Irgendwas“ keinen Sinn machen, aber warum war Ihnen das wichtig?

TB: Die Leute haben immer so einen Realitätsanspruch an Fiktion. Die wollen immer genau wissen: Ist das passiert? Wo ist das passiert? Sowas. Und darum geht‘s gar nicht. Es geht nicht um das Abgleichen mit der Welt, in der wir leben, sondern einfach nur, dass es hätte sein können. Mir ist relativ unwichtig, wo die Geschichten spielen, weil sie dadurch auch so eine Allgemeingültigkeit bekommen. Sie können letzten Endes überall stattfinden, und da sind Leerstellen, die Lesende dann mit ihren eigenen Erfahrungen ergänzen und auffüllen und dann dadurch zu ihrer Welt auch machen.

L: Und haben Sie schon Feedback von Jugendlichen bekommen, wie das Buch ankam oder was sie von der Geschichte gehalten haben?

TB: Das erste Feedback war skurrilerweise dieses Mal bei diesem Buch sehr oft von Buchhändler:innen. Und so stark hatte ich das noch nie. „Sankt Irgendwas“ war irgendwie ein Buchhändlerliebling... Ja, ganz nett angekommen. Also viel schöner finde ich tatsächlich auch: Egal, wer es liest – Leute fangen an, mir von ihren Klassenfahrten zu erzählen. Und das ist das Merkwürdige, auch Erwachsene, die sonst so sagen „da erinnere ich mich nicht so dran“. Aber dann sage ich „Klassenfahrt“, und alle haben irgendwas über eine Klassenfahrt zu erzählen. Natürlich immer irgendwelche Peinlichkeiten, die da passiert sind oder kleine Skandale.

L: Ich war sehr froh, als beim Lesen mal so der Einband verrrutschte und ich dann entdeckt habe, was drunter war...

TB: Der ist süß, nicht?

L: Ja, mir hat es sehr gut gefallen. Hat es jemand extra gestaltet? Oder ist es wirklich ein Foto von einer Wand, die existiert?

TB: Ich glaube, das ist ein Foto von einer Wand, die existiert. Ich mache das natürlich nicht selbst. Ich war ja noch mitten im Schreiben. Ich war so im Januar, dass meine Lektorin sagte: „So, Tamara, was hast du denn so im Kopf für das Cover?“ und ich so: „Ich weiß nicht.“ Ich wusste bis dato ja nicht mal, was passiert. Also warum die... Bei mir entwickelt sich tatsächlich alles beim Schreiben. Größtenteils also in den meisten Büchern, weiß ich am Anfang nicht was am Ende passiert. Und ich wusste auch beim Schreiben nicht wirklich, was dann passiert. Ob am Flughafen, ob da irgendwas in die Luft geht oder – keine Ahnung was. Auf jeden Fall kam ich auf die Idee mit dem Papierflieger und dann kam die Gestalterin eben mit dieser Wand und ich habe mich komplett in dieser Wand mit den Unterschriften verliebt. Ich mag das, was Leute so hinterlassen und ich habe selbst oft irgendwo meinen Namen hinterlassen. Sei's jetzt in irgendwelchen Jugendherbergen oder irgendwelchen Schreibtischen, an Schulen oder sowas. Und dieser Drang, sich zu hinterlassen, irgendwo zu sagen „Ich war hier“, das ist so nachvollziehbar für mich. Und sich ein bisschen unendlich zu machen, wenigstens bis zum nächsten Mal, wenn man alt wird. Und daraufhin habe ich dann tatsächlich auch diese Szene am Aquädukt geschrieben. Also vorerst war diese Wand da und dann habe ich diese Szene geschrieben. So kann sich das manchmal gegenseitig befruchten, und ich war sehr froh drüber. Leider konnten wir es nicht als Cover-Cover benutzen, weil wenn man es verkleinert, wie es ja im Internet oft ist, wenn man dann die Bücher sieht, verschwimmt das alles so ein bisschen. Deswegen wurde noch dieses andere Motiv für das Cover gewählt.

L: Sie sind jetzt zum zweiten Mal für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert. Wie hat sich das beim zweiten Mal für Sie angefühlt?

TB: Schön. Weil das erste Mal gab es gar keine Nominierung. Da gab es gleich den Preis. Da wusste ich noch gar nichts von dem Preis, sondern da hieß es ... Also es gab noch keine Short oder Longlist. Und es ging alles sehr schnell das erste Mal. Und tatsächlich hat mich die Nikola Huppertz, mit der ich auch befreundet bin ... Die hat eben das Video mit der Nominierung gesehen und hat gesagt: „Guck mal, da bist du auch drauf.“ Das fand ich ganz schön. Also alles jetzt auch nach Saarbrücken wieder zu fahren und auch Kollegen zu treffen. Auf sowas freue ich mich schon sehr.

L: Ja und wir würden uns freuen, wenn wir Sie im Oktober bei der Preisverleihung persönlich kennenlernen!

TB: Fingers crossed, dass bis dahin alles gut bleibt. Geimpft bin ich dann jedenfalls.

L: Sehr gut. Dann vielen Dank für Ihre Zeit und den spannenden Einblick in „Sankt Irgendwas“.

TB: Sehr gerne, sehr sehr gerne.

L: Und bis Oktober.

TB: Bis Oktober dann.

 

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